Schriftliches Grußwort des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier

Liebe verwaiste Eltern und trauernde Geschwister,
liebe Mitglieder des Bundesverbands,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Redensart, dass für jemanden eine Welt zusammengebrochen sei, verwenden wir im Alltag recht häufig und meistens eher unbedacht. Was es aber wirklich bedeutet, wenn eine Welt zusammenbricht, das wissen Menschen, die einen jungen Angehörigen verloren haben, ganz besonders Eltern, deren Kind gestorben ist.
Der vorzeitige Tod eines geliebten Menschen hebt das Leben der Hinterbliebenen aus den Angeln, er reißt eine unbegreifliche Lücke, zerstört Träume und Hoffnungen, macht alle Pläne zunichte. Nichts ist mehr so, wie es einmal war; nichts wird mehr so sein, wie es sein sollte. Viele verwaiste Eltern und trauernde Geschwister fragen sich verzweifelt, wie sie leben sollen, wenn ihr Sohn oder ihre Tochter, ihr Bruder oder ihre Schwester, ihr Enkel oder ihre Enkelin nicht mehr da ist.
In ihrer existenziellen Not brauchen verwaiste Eltern einen geschützten Raum, um zu trauern; sie brauchen Menschen, die ihnen zuhören, sie auffangen und trösten; sie brauchen aber auch fachkundige Hilfe, um neue Kraft zu schöpfen und einen Weg zurück ins Leben zu finden, in ein Leben mit dem Tod ihres Kindes.
Der Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland hat in den vergangenen 25 Jahren das gesellschaftliche Bewusstsein für die Hinterbliebenen und ihre Bedürfnisse geschärft. Er hat unzählige Menschen ermutigt, selbst Verantwortung zu übernehmen und sich um Trauernde zu kümmern, ob im Ehrenamt oder im Beruf.
Ihr Verband, meine Damen und Herren, hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Eltern und Familien, die ein Kind verloren haben, heute an vielen Orten unseres Landes Hilfe zur Selbsthilfe finden und von gut ausgebildeten Frauen und Männern begleitet werden. Und er hat mitgeholfen, dass auch diejenigen gut unterstützt werden, die verwaisten Eltern zur Seite stehen – seien es Freundinnen, Nachbarn oder Kolleginnen, Ärzte oder Hebammen, Lehrerinnen oder Erzieher, Polizistinnen oder Feuerwehrleute, Seelsorgerinnen oder Therapeuten.
Ich danke allen, die sich seit der Gründung im Jahr 1997 unter dem Dach Ihres Verbands engagiert haben und weiter engagieren. Sie haben Hunderttausenden verwaisten Eltern und trauernden Angehörigen in einer tiefen Lebenskrise Halt gegeben; Sie haben Anteil genommen an ihrer Trauer und ihrem Leid; Sie haben ihnen geholfen, wieder auf die Beine zu kommen und Schritt für Schritt zu lernen, mit dem Verlust zu leben.
Ganz besonders dankbar bin ich Ihnen dafür, dass Sie auch in der Corona-Pandemie Wege gefunden haben, um für trauernde Mütter und Väter da zu sein und sie nicht allein zu lassen in einer Zeit, in der das Abschiednehmen noch schwieriger war, als es ohnehin schon ist.
Meine Damen und Herren,
den Schicksalsschlag eines zu frühen Todes kann niemand ungeschehen machen, niemand kann die Lücke schließen, die ein Verstorbener hinterlässt, niemand kann den Hinterbliebenen den Verlust ersetzen. Aber wir alle, als Einzelne und als Gesellschaft, können etwas tun, um denen zu helfen, die mitdem Tod ihres Kindes leben müssen. Wir alle können sie auf dem Weg ihrer Trauer begleiten und sie dabei unterstützen, trotz ihres großen Verlustes ein erfülltes Leben zu führen. Es ist auch ein Verdienst Ihres Verbands, darauf unermüdlich aufmerksam zu machen.
Sie alle im Bundesverband tragen mit Ihrer Arbeit zu einem menschlichen und solidarischen Zusammenleben bei. Sie stehen für eine Gesellschaft, in der wir nicht gleichgültig aneinander vorbeigehen, sondern uns einander zuwenden und füreinander da sind, auch und gerade in schwierigen Zeiten.
Als Bundespräsident wünsche ich mir deshalb, dass Sie bleiben, was Sie sind: ein Vorbild für Mitmenschlichkeit und gesellschaftliches Engagement in unserem Land. Und ich wünsche Ihnen und Ihrem Verband alles Gute zum 25. Jubiläum. Herzlichen Glückwunsch, und vor allen Dingen: herzlichen Dank!
Der Bundespräsident
Frank Walter Steinmeier